Für Ärzte und Therapeuten
Herborner Mikrobiom Tage
Herborner Mikrobiom Tage 2024
Lucky Gut - Der Darm und unsere mentale Gesundheit
Von Freitag, den 07.06.2024 bis Sonntag, den 09.06.2024 fanden zum zweiten Mal unsere Herborner Mikrobiom Tage statt. Dieses Jahr stand der Darm und unsere mentale Gesundheit im Mittelpunkt. Im folgenden finden Sie die Zusammenfassungen der Vorträge. Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen und freuen uns, Sie auf den Herborner Mikrobiom Tagen 2025 willkommen zu heißen!
Herzliche Grüße
Ihr Team des MVZ Institut für Mikroökologie
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Rückblick
Geschäftsführer Prof. Dr. rer. nat. Andreas Schwiertz begrüßte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Freitagabend im Institut für Mikroökologie und stellte das Expertenteam des MVZ Institut für Mikroökologie vor. In diesem Jahr standen der Darm und die mentale Gesundheit im Mittelpunkt. Aus verschiedenen Blickwinkeln - psychologisch, medizinisch und naturwissenschaftlich - sollte das Thema näher beleuchtet werden.
Frédéric Letzner eröffnete die Herborner Mikrobiom Tage mit seinem Vortrag "Stress macht nicht nur krank, sondern auch dumm". Er ist Redner für psychische Gesundheit, Ernährungspsychologie und Gesundheitsmanagement. Der studierte Ernährungswissenschaftler hat sich der Psychologie des menschlichen Ernährungs- und Gesundheitsverhaltens verschrieben. Anfang 2020 wurde er vom deutschen Redner-Berufsverband zum besten Newcomer Deutschlands mit dem “GSA-Newcomer Award 2020” gekürt. Humorvoll und provokant begeisterte er die Teilnehmenden über den Einfluss von Stress auf das menschliche Verhalten.
Herr Letzner ist Ernährungswissenschaftler. Seine Erfahrungen als junger Absolvent, der versucht hatte, Menschen die Prinzipien gesunder Ernährung nahezubringen, zeigte ihm, dass viele Menschen solche Ratschläge ignorieren.
Gesundheitsthemen werden oft negativ assoziiert. Auf die Frage warum, erhält er oft die Antwort, dass diese Themen keinen Spaß machen. Sie werden mit Arbeit, Disziplin und Verzicht verbunden, was bei vielen Menschen Widerstände auslöst.
Kindheitserfahrungen spielen eine große Rolle bei der Entwicklung dieser Einstellungen. Sätze wie „Das macht gesund“ oder „Iss deinen Brokkoli“ führen oft zu Abwehrreaktionen, weil sie mit Zwang und Verboten verbunden sind. Je mehr Regeln und Empfehlungen Menschen auferlegt werden, desto weniger folgen sie ihnen.
Herr Letzner betonte die psychologischen Aspekte des Essverhaltens. Jeder Mensch trifft täglich zwischen 200 und 250 ernährungsbedingte Entscheidungen, oft unbewusst. Unser Essverhalten ist stark emotional geprägt.
Jedes Verhalten hat eine Funktion, selbst wenn es destruktiv ist. Wenn Menschen mit dem Rauchen aufhören, suchen sie oft nach alternativen Verhaltensweisen wie Snacken oder Sitzen, um die entstandene Lücke zu füllen. Stress kann die Körperwahrnehmung herabsetzen und zu ungewollten Verhaltensweisen führen. Menschen können Völlegefühl als angenehm empfinden oder spüren sich erst durch extremes Verhalten wie Marathonlaufen. Perfektionismus kann die Komfortzone verkleinern und den Stress erhöhen, was wiederum problematische Verhaltensweisen fördert. Der Hauptgrund für Adipositas liegt oft in Stress und emotionalen Komponenten.
Selbstachtung und Prioritätensetzung sind entscheidend für ein gesundes Verhalten. Herr Letzner betonte, dass Genuss ohne Schuldgefühle wichtig ist, um eine gesunde Beziehung zu Lebensmitteln zu entwickeln. Zwei Drittel der Deutschen haben bei Genussmitteln Schuldgefühle. Es ist wichtig, Strukturen zu schaffen, die Genuss ermöglichen, ohne Grenzen zu setzen. Stress sollte als Mittel zur Vermeidung von dummen Verhalten gesehen werden, nicht als Auslöser.
Zum Abschluss betonte Herr Letzner, dass es wichtig sei, Menschen in stressreichen Situationen besser zu unterstützen, statt ihnen einfache Ratschläge wie „Machen Sie doch mal eine Diät“ zu geben. Selbstachtung sollte im Fokus stehen, um ein gesünderes und erfüllteres Leben zu führen.
Weitere Informationen finden Sie hier: https://www.letz-go.de/
In geselliger Runde mit abwechslungsreichen Fingerfood wurden neue Kontakte geknüpft. Bei einer anschließenden Laborführung konnte der Weg einer Probe durch das Labor vom Probeneingang bis zum Befund nachvollzogen werden.
Am Samstagmorgen begrüßte Prof. Dr. rer. nat. Andreas Schwiertz alle Teilnehmenden mit einer kurzen Einführung in das Thema und das diesjährige Programm. Er stellte zudem die Aussteller der kleinen Industriemesse vor. Hier hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit sich über probiotische Produkte und die Mikrobiomdiagnostik zu informieren.
Dr. rer. nat. Benjamin Seethaler eröffnete die Vorträge am Samstag. Er ist Ernährungswissenschaftler und forscht seit 2018 am Institut für Ernährungsmedizin der Universität Hohenheim. Ein besonderer Fokus seiner Arbeit liegt dabei auf der mediterranen Ernährung und ihrem Einfluss auf die Darmgesundheit und das intestinale Mikrobiom. Neben der Forschungsarbeit ist er Autor populärwissenschaftlicher und wissenschaftlicher Literatur.
Die mediterrane Ernährung bezieht sich auf die Ernährungsgewohnheiten der 1950er Jahre und ist durch einen hohen Verzehr von Obst, Nüssen, Gemüse, Olivenöl und fermentierten Milchprodukten und einen geringen Verzehr von rotem und verarbeitetem Fleisch gekennzeichnet. Moderne Erweiterungen dieses Ernährungsmusters umfassen den Verzehr von Vollkornprodukten, regelmäßige körperliche Bewegung und gemütliches Essen in Gesellschaft. Auch Mikroalgenöl und Fischersatzprodukte werden zunehmend von Fachleuten empfohlen.
Die mediterrane Ernährung ist dafür bekannt, das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Typ-2-Diabetes und Magen-Darm-Erkrankungen zu senken. Die hohe Zufuhr von Ballaststoffen, Omega-3- und Omega-9-Fettsäuren, Vitaminen, Mineralstoffen und sekundären Pflanzenstoffen wirkt sich positiv auf die Gesundheit aus.
In Studien haben Dr. rer. nat. Seethaler und Kollegen den Einfluss der mediterranen Ernährung auf das Mikrobiom untersucht. Dabei konnte kein Unterschied in der Alpha- und Beta-Diversität der Mikrobiota festgestellt werden, wenn die Probanden ihre Ernährung auf eine mediterrane Ernährung umstellten. Allerdings wurde beobachtet, dass die mediterrane Ernährung das Vorkommen einzelner bakteriellen Spezies verändert. Zudem erhöhte sich die Menge an bakteriell gebildeten Metaboliten, vor allem gesundheitsfördernden kurzkettigen Fettsäuren.
"Durch Ernährungsveränderungen ändert sich immer etwas im Mikrobiom.“ Dies gilt auch für den Vergleich zwischen veganer und omnivorer Ernährung. Die mikrobiellen Stoffwechselprodukte variieren stark zwischen den beiden Ernährungsvarianten. Daher ist es wichtig, die Aktivität der Bakterien zu betrachten. Kurzkettige Fettsäuren wie Acetat, Propionat und Butyrat spielen dabei eine wichtige Rolle, insbesondere im Hinblick auf die Darmbarriere.
Kurzkettige Fettsäuren und Omega-3-Fettsäuren stärken die Tight Junctions und senken die Konzentration der Darmbarriere-Biomarker LBP und Zonulin, was eine Stärkung der Darmbarriere zeigt. Gesättigte Fettsäuren hingegen fördern die Durchlässigkeit der Darmbarriere und damit Leaky Gut. Dr. rer. nat. Seethaler empfiehlt daher den regelmäßigen Verzehr von ballaststoffreichen Lebensmitteln wie Nüssen, nativem Olivenöl extra, Fisch, bzw. Fisch- oder Mikroalgenöl.
Die Durchlässigkeit der Darmbarriere kann durch Zuckertests mit Lactulose, Mannit und Sucralose gemessen werden. Diese Zucker sind nach der oralen Aufnahme bei intakter Darmbarriere nicht im Urin nachweisbar. Findet man diese Zucker im Urin, so liegt eine gestörte Darmbarriere-Funktion vor. Je größer die Menge der im Urin gefundenen Zucker, desto höher der Grad der Darmbarriere-Störung. Vorteile dieser Tests sind ihre Genauigkeit, aber es fehlen etablierte Referenzwerte, die Zuckerlösungen haben einen unangenehmen Geschmack, die Tests sind zeitaufwändig und nur für prospektive Messungen geeignet. Moderne Ansätze verwenden Marker wie Zonulin oder LBP (Lipopolysaccharid-Bindungsprotein), wobei Zonulin vor allem bei Übergewichtigen ein guter Marker ist. Für alle genannten Darmbarriere-Marker fehlen offizielle Richtwerte. Deshalb ist immer eine individuelle Interpretation der Ergebnisse notwendig.
Dr. med. Thomas Ellwanger, Leiter der medizinisch-wissenschaftlichen Abteilung des MVZ Institut für Mikroökologie, stellte anschließend die Zusammenhänge zwischen einer stillen Entzündung und der psychischen Gesundheit vor. Anhand eines Patientenbeispiels veranschaulichte er das diagnostische Vorgehen in der Praxis.
Die Silent Inflammation (stille Entzündung) steht im Zusammenhang mit vielen Erkrankungen, unter anderem Depressionen. In Deutschland sind 8,2% der erwachsenen Bevölkerung an Depressionen erkrankt, jeder vierte leidet an Schlafstörungen.
Ein zentraler Aspekt der Silent Inflammation ist die intestinale Schleimhaut, die aus Epithelzellen mit Tight Junctions besteht. Bei einem Leaky Gut sind diese Tight Junctions dauerhaft geöffnet, wodurch Bakterien und Lipopolysaccharide (LPS) die Darmbarriere verstärkt passieren und dendritische Zellen aktivieren. Diese wiederum aktivieren Makrophagen woraufhin proinflammatorische Zytokine wie TNF-α, IFN-γ und weitere Interleukine ausgeschüttet werden. Risikofaktoren für ein Leaky Gut sind unter anderem eine Dysbiose, verschiedene Arzneimittel, Nikotin, Allergien und Intoleranzen sowie Stress. Schon 30-minütiger Stress kann die Tight Junctions schädigen. Zudem ist Gluten ein bekannter Trigger für die vermehrte Bildung von Zonulin, einem Protein, das die Öffnung der Tight Junctions reguliert.
Die Aktivität der Indolamin-2,3-Dioxygenase (IDO) spielt eine entscheidende Rolle bei der Symptomatik einer Silent Inflammation. IDO wandelt Tryptophan in Kynurenin und Serotonin um. Normalerweise wird nur etwa 1% des Tryptophans in Kynurenin umgewandelt, das dann zur neuroprotektiven Kynureninsäure verstoffwechselt wird. Serotonin, das Glückshormon, wird aus Tryptophan gebildet. Als Vorstufe von Melatonin sorgt Serotonin ebenso für guten Schlaf.
Die Aktivität von IDO kann, getriggert z. B. durch LPS, stark ansteigen, was zu einer erhöhten Produktion von Kynurenin und einer verminderten Produktion von Serotonin führt. Dies fördert depressive Verstimmungen, da nun auch vermehrt neurotoxische Metaboliten wie 3-Hydroxykynurenin und Chinolinsäure entstehen.
Der Silent Inflammation-Check ist also besonders empfehlenswert bei Patienten mit Verdacht auf oder diagnostiziertem Leaky Gut. Dieser erfasst die IDO-Aktivität, hsCRP (high sensitive C-reaktives Protein, ein Entzündungsmarker) und LPS-Antikörper. Die weiteren Indikationen für einen Silent Inflammation-Check sind vielfältig und reichen von depressiven Verstimmungen bis hin zu kardiovaskulären und Stoffwechselerkrankungen sowie Adipositas.
Anhand eines Patientenfalls verdeutlichte Dr. med. Thomas Ellwanger den Zusammenhang: Eine Patientin hatte zunehmende depressive Verstimmungen, die nicht zur biografischen und sozialen Anamnese passten. Durch diagnostische Vernetzungen wurde festgestellt, dass das Hauptproblem eine verstärkte LPS-Belastung war. Der Silent Inflammation-Check zeigte deutliche Auffälligkeiten.
Therapeutisch ist Psychohygiene wichtig, z.B. durch Yoga, Meditation oder progressive Muskelentspannung, die sich als äußerst effektiv erwiesen haben. Nach sieben Monaten der Therapie fühlte sich die Patientin wieder ausgeglichen und in einer positiven Gemütslage.
In seinem zweiten Vortrag ging Frédérik Letzner der Frage nach, warum sich Menschen gerne unvernünftig verhalten. Eigentlich weiß jedes Kind, was “gesund” ist, und obwohl wir Gesundheit für sehr wichtig halten, fällt es uns oft sehr schwer, uns entsprechend zu verhalten. Woran liegt das? Haben wir keine Zeit oder gibt es einen inneren “Schweinehund”? Frédérik Letzer gab einen provokanten und humorvollen Einblick in das Thema Gesundheit.
Wir appellieren oft an die Vernunft, so Letzner. Im Bereich des Ess- und Ernährungsverhaltens lernen Kinder vor allem durch das Vorbild ihrer Eltern, nicht durch Worte allein. Kinder hören was gesagt wird. Viel relevanter ist jedoch das Lernen durch das Verhalten der Erwachsenen um sie herum. Ein klassisches Belohnungsprinzip, bei dem Gemüse gegen Süßigkeiten getauscht wird, lehrt Kinder, dass Gemüse nicht freiwillig gegessen wird und Süßigkeiten wertvoller sind. Gesundheit wird dadurch als Arbeit wahrgenommen.
Herr Letzner widerspricht der Vorstellung, dass gesunde Ernährung nicht schmecken kann. Aus ernährungspsychologischer Perspektive erzeugt Verknappung Präferenz. Dinge, die selten sind, werden wertvoller wahrgenommen und Verzicht kann das Verlangen nach bestimmten Lebensmitteln steigern. Daher sind Verbote nicht immer sinnvoll.
Warum verhalten sich Menschen oft unvernünftig? Anerkennung, Aufmerksamkeit und Liebe sind absolute Grundbedürfnisse. Mobbing kann krankmachen, da das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Anerkennung stark ist. Jugendliche beweisen ihre Zugehörigkeit durch Mutproben, und auch Erwachsene verhalten sich oft wie große Kinder.
Das Umfeld und die Gruppendynamik haben einen großen Einfluss auf unser Verhalten. Ernährungsempfehlungen müssen zur Identität der Zielgruppe passen und realistisch umsetzbar sein. Essverhalten ist ein Ausdruck von Identität, Zugehörigkeit und Anerkennung.
Menschen streben danach, bis zum höchsten Maße zu funktionieren, oft auf Kosten ihrer Gesundheit. Soziale Medien verstärken diese Problematik, indem sie extreme Darstellungen von Gesundheit und Ernährung propagieren. Glaubenssätze spielen eine wichtige Rolle im Essverhalten. Effizienzdenken führt zu großen Portionen, und soziale Normen verhindern, dass schwere Männer kleine Portionen bestellen. Viele Menschen essen über ihr Sättigungsgefühl hinaus, um Konflikte zu vermeiden oder um Stress abzubauen. Selbstreflexion, das Erkennen von emotionalen und körperlichen Warnsignalen und mehr Zeit für das Essen sind wichtig, um gesündere Gewohnheiten zu entwickeln.
Weitere Informationen finden Sie hier: https://www.letz-go.de/
Nach der Mittagspause startete Dr. med. Victoria Rosenbach, Ärztin aus Berlin und Expertin für Mikrobiologische Therapie, mit Lockerungsübungen zum Wachwerden. In Ihrem Vortrag stellte Sie den Weg von einem "Leaky Gut" zu einem "Happy Gut" vor mit praktischen Ansätzen aus der Mikrobiologischen Therapie für die mentale Gesundheit.
Dr. med. Victoria Rosenbach verglich in ihrem Vortrag die Grenzflächen des Darms mit einem Deich an der Nordsee. Ein hoher Deich kann kleine und große Wellen abwehren. Bricht der Deich, sind die dahinter liegenden Gebäude von Überflutung bedroht. Leaky Gut" ist eine Störung der Grenzfläche, unabhängig davon, ob sie von innen oder von außen verursacht wird. Es ist wichtig, Maßnahmen zu ergreifen, um die Barrierefunktion des Darms wiederherzustellen und zu stärken. Für diesen Schutz sorgen die Tight Junctions der Epithelzellen. Im Darmlumen befinden sich als erste Verteidigungslinie Immunzellen, die die Aufnahme von Nahrungsbestandteilen kontrollieren.
Eine schlecht versorgte Mukosa und Dysbiose (vor allem durch LPS-tragende Mikrobiota) sowie ein durch Mangelernährung geschädigtes Epithel können klinisch oft unauffällig, aber dennoch problematisch sein. Ursachen für diese Probleme sind eine unzureichende protektive Mikrobiota, eine geringe Anzahl mukonutritiver Mikrobiota und ein Mangel an Butyrat. Mögliche Folgen von Leaky Gut sind Typ-III-Immunreaktionen auf Nahrungsmittel, Irritationen des enteralen Nervensystems, Hypovitaminosen, Resorptionsdefizite und stille Entzündungen.
Anhand eines Patientenfalles veranschaulichte Dr. med. Victoria Rosenbach die Anamnese, Diagnostik und Therapie von Patienten mit Leaky Gut. Dabei spielt die Darm-Hirn-Achse eine besondere Rolle. Darm und Gehirn kommunizieren bidirektional, wobei mehr Informationen vom Darm zum Gehirn gelangen als umgekehrt. Tryptophan, das über die Blut-Hirn-Schranke transportiert wird, ist entscheidend für die Serotoninproduktion im ZNS. Niedrige Tryptophanwerte im Stuhl können auf eine unzureichende Serotoninproduktion im Gehirn hinweisen. Leaky-Gut-Patienten haben daher ein erhöhtes Risiko für Stress, Depressionen und Burnout.
Als Therapie empfiehlt Dr. med. Victoria Rosenbach die Mikrobiologische Therapie, Substitution zum Ausgleich von Vitaminmangel, Stressreduktion und eine angepasste Ernährung.
In einer abschließenden Diskussionsrunde konnten offene Fragen an die Referent:innen gestellt werden.
Der Tag klang bei leckerem Essen mit Live-Cooking in lockerer Atmosphäre im Hof des Gutshof aus.
Der Sonntag startete mit einem Vortrag von Prof. Dr. med. Jürgen Gschossmann, Internist, Gastroenterologe und ärztlicher Direktor des Klinikums Forchheim. Er beschäftigt sich seit Jahren mit funktionelle Magen-Darm-Erkrankungen. Den Fokus in seinem Vortrag legte er auf die funktionelle Dyspepsie und Reizdarm im Kontext chronischer Adominalbeschwerden unter Berücksichtigung der zunehmenden Bedeutung des Mikrobioms für die Krankheitsbilder.
Funktionelle Darmerkrankungen stellen eine Herausforderung für Arzt und Patient dar. Daher ist eine gute Zusammenarbeit zwischen Hausarzt und Internist/Gastroenterologe erforderlich. Vor dem Hintergrund der aktuellen Leitlinien stellte Prof. Dr. med. Gschossmann funktionelle Dyspepsie und Reizdarm im Kontext chronischer Abdominalbeschwerden vor.
Die funktionelle Dyspepsie ist durch das postprandiale Distress-Syndrom und/oder epigastrische Schmerzen gekennzeichnet. Prof. Dr. med. Gschossmann erläuterte, dass das Vorgehen bei Patienten mit funktioneller Dyspepsie durch einen therapeutischen Algorithmus unterstützt wird. Dieser beginnt für den Therapeuten mit der Anamnese, dem klinischen Untersuchungsbefund und der Basisdiagnostik. Bei Vorliegen von Warnsignalen sollte eine endoskopische Abklärung erfolgen, ansonsten kann initial eine empirische Therapie begonnen werden. Schlägt diese nicht an, sollte eine Endoskopie folgen. Die Therapie sieht laut Leitlinie Protonenpumpeninhibitoren vor, alternativ können Phytotherapeutika eingesetzt werden. Auch Probiotika zeigen positive Effekte, allerdings sind die Fallzahlen der Studien hierzu noch relativ gering. Wichtig bei der Behandlung von funktionellen Darmerkrankungen ist die regelmäßige Kontrolle der Patienten.
Das Reizdarmsyndrom ist über die ROM IV-Kriterien definiert, wobei die Subtypen anhand der Stuhlform nach der Bristol-Skala eingeteilt werden. Man unterscheidet vor allem zwischen IBS-C (Obstipation dominiert) und IBS-D (Diarrhoe dominiert). Die Prävalenz ist hoch und hat in den letzten Jahren zugenommen. Die Ursachen des Reizdarmsyndroms sind vielfältig, wobei das Leaky Gut eine wichtige Rolle spielt.
Die Lebensqualität von Reizdarmpatienten ist stark eingeschränkt. Eine leitliniengerechte Diagnostik und Therapie ist wichtig. Die Drei-Säulen-Therapie besteht aus allgemeinen Maßnahmen, Medikation und Psychosomatik. Phytotherapeutika und Probiotika stellen vielversprechende Therapieansätze dar.
Dr. rer. nat. Lisa Musculus behandelte in ihrem Vortrag das Thema “Bauchentscheidungen”, die eine mögliche Verbindung zwischen Darm und Kognition beschreiben. Aus einer kognitions-psychologischen und psychophysiologischen Perspektive beleuchtete sie die Rolle der Darmmikrobiota bei Risikoentscheidungen.
Dr. rer. nat. Lisa Musculus untersuchte die Zusammenhänge zwischen dem Mikrobiom und Risikoentscheidungen. Ein besonderer Fokus lag dabei auf der Darm-Hirn-Achse und damit auf den Auswirkungen des Darmmikrobioms auf Emotionen, Motivation und höhere kognitive Funktionen bei gesunden Menschen.
Experimentelle Interventionsstudien konnten bereits kausale Effekte von Probiotika auf Kognition nachweisen, darunter vermindertes Grübeln, weniger aggressive Gedanken, verbessertes verbales und visuell-räumliches Gedächtnis sowie verbesserte kognitive Leistung unter akutem Stress.
Da Risikoentscheidungen von der kognitiv-emotionalen Verarbeitung viszeraler Informationen abhängen, stellen sie eine relevante psychologische Größe in der Betrachtung der Darm-Hirn-Achse dar. Die Hypothese von Dr. rer. nat. Musculus war, dass die Mikrobiota einen Effekt auf Risikoentscheidungen hat und dass dieser Effekt durch Interozeption, d.h. der akkuraten Wahrnehmung von körperlichen Signalen, moduliert wird.
iese Hypothese wurde in einer dreifach verblindeten, randomisierten und placebo-kontrollierten Interventionsstudie untersucht. Die Teilnehmer nahmen zweimal täglich Probiotika (Lactobacillaceae und Bifidobacteriaceae) oder ein Placebo ein. Die Risikoentscheidungen wurden mithilfe des Iowa Gambling Task (IGT) und des Balloon Analogue Risk Task (BART) gemessen. Die kardiale vagale Aktivität wurde mittels Herzratenvariabilität (RMSSD als Variationsmaß der kardialen Aktivität) und Interozeption mittels Heartbeat Perception Task (HPT) gemessen.
Die Daten wurden nach einer 42-tägigen Intervention analysiert. Die Ergebnisse zeigten keine Effekte der Probiotika Gabe auf die Ergebnisse im BART und IGT. Auch konnte kein Zusammenhang zwischen vagaler Aktivität und Risikoentscheidungen gefunden werden. Es wurde jedoch festgestellt, dass in der Baselinemessung, d.h. vor Probiotika vs. Placebo Gabe, Faecalibacterium prausnitzii negativ mit Risikoentscheidungen assoziiert ist und dies durch Interozeption moderiert war. Zukünftige Studien, z.B. mit Leistungssportlern und potentiellen Olympiateilnehmern, könnten weitere Erkenntnisse liefern. Methodische Erweiterungen der Messverfahren und -methoden sind notwendig, um die Zusammenhänge zwischen Darmmikorbiom, Interozeption, und Kognition besser zu verstehen.
Das Team des MVZ Institut für Mikroökologie bedankt sich bei allen Referentinnen und Referenten für die informativen und hochwertigen Vorträge und bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern für die inspirierenden Gespräche, den regen Austausch und neue Impulse!