Für Ärzte und Therapeuten

Reizdarmsyndrom

Reizdarmsyndrom: Dysbiose, Leaky Gut und die Darm-Hirn-Achse

In Deutschland leiden geschätzte 13 Prozent (1) der Bevölkerung unter dem Reizdarmsyndrom (RDS), Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer. In der S3 Leitlinie2 ist das Reizdarmsyndrom definiert: Die Patientin oder der Patient leidet unter chronischen, länger als drei Monate anhaltenden oder rezidivierenden Beschwerden. Diese werden von der Patientin oder dem Patienten und der Ärztin oder dem Arzt auf den Darm bezogen. Die Beschwerden wie Bauschmerzen und Blähungen gehen in der Regel mit Stuhlgangsveränderungen einher und begründen, dass der Patient oder die Patientin deswegen Hilfe sucht. Voraussetzung für die Diagnose Reizdarm ist, dass Erkrankungen ausgeschlossen werden, welche die Symptome auslösen können. Dazu gehören zum Beispiel akute Magen-Darm-Erkrankungen, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen aber auch Krebserkrankungen.

Das Reizdarmsyndrom lässt sich in Untergruppen einteilen

  • Diarrhö-prädominantes Reizdarmsyndrom (RDS-D/IBS-D)
  • Obstipation-prädominantes Reizdarmsyndrom (RDS-O/IBS-O)
  • Reizdarmsyndrom mit wechselnden Stuhlgewohnheiten (RDS-M/IBS-M), auch gemischt/alternierend bezeichnet

Verändertes Mikromilieu

Das Mikromilieu des Darms von Reizdarm-Patientinnen und -Patienten ist oft verändert. Auffällig sind eine Dysbiose der Darm-Mikrobiota und eine erhöhte Permeabilität der Darmschleimhaut. (2)

Das Wechselspiel von Darm-Mikrobiota, Schleimhaut und mukosalem Immunsystem bestimmt das Mikromilieu im Darm und damit auch die Verdauung. Faktoren wie die Ernährung, die psychische Gesundheit, Infektionen oder die Einnahme von Medikamenten können auf die drei Ebenen einwirken und das Mikromilieu nachhaltig verändern. Etwa jedes vierte Reizdarmsyndrom entsteht zum Beispiel nach einer Gastroenteritis, oft ist es auch Folge einer oder mehrerer Antibiosen.

Dysbiose der Darm-Mikrobiota

Eine Dysbiose der Darm-Mikrobiota (2,3,4) ist typisch für viele Reizdarm-Patientinnen und -patienten: Die Zellzahlen wichtiger Bakteriengruppen oder -arten wie Bifidobakterien und Faecalibacterium sind häufig verringert, Bakterien wie die Proteolyten dagegen vermehrt. (5)

Unsere KyberBiom®-Diagnostik erfasst Schlüsselorganismen aus sieben funktionellen Gruppen der Mikrobiota. Dadurch lassen sich relevante Störungen des mikrobiellen Gleichgewichts erkennen und mit Hilfe von individuellen Therapie- und Ernährungsmaßnahmen die Mikrobiota wieder ins Gleichgewicht gebracht werden.

Zusätzlich erfassen wir mit der KyberBiom®-Diagnostik den FODMAP-Typ. Bei den FODMAPs handelt es sich um Zuckerarten, für die es im Darm keine geeigneten Verdauungsenzyme oder Transportsysteme gibt. Da die Zucker nicht verdaut werden, gelangen sie unverändert in den Dickdarm. Dort wirken die Zucker osmotisch: Das ins Darmlumen einströmende Wasser verdünnt den Stuhl und beschleunigt die Darmpassage. Gleichzeitig erzeugen die Bakterien Gase, wenn sie die Zucker fermentieren. Das erhöht den Druck auf die Darmwand und löst Reizdarm-Schmerzen aus. Es hängt von der Zusammensetzung der Mikrobiota ab, ob Reizdarm-Patientinnen und -Patienten von der Diät profitieren6. Nur bei einem FODMAP-Typ 3 und teilweise bei einem FODMAP-Typ 2 kann eine FODMAP-arme Ernährung Reizdarm-Beschwerden oft lindern. Es entstehen weniger Gase und damit weniger schmerzhafte Dehnungsreize.

Leaky-Gut-Syndrom – assoziiert mit Reizdarm

Eine intestinale Barrierestörung gehört laut S3-Leitlinie zu den pathophysiolgisch relevanten Faktoren, die beim Reizdarmsyndrom auftreten können. (2) Dadurch können Allergene, Bakterienbestandteile und weitere Noxen vermehrt durch die Darmmukosa ins Körperinnere eindringen und subklinische Entzündungen auslösen.

Das Protein Zonulin reguliert die Durchlässigkeit der Darmschleimhaut. (7) Verschiedene Reize veranlassen die Darmepithelzellen, Zonulin in das Darmlumen und in die Blutgefäße abzugeben. Es bindet an Rezeptoren auf der Oberfläche der Darmepithelzellen und löst eine Signalkaskade aus, durch die sich das Zytoskelett der Zelle zusammenzieht. In der Folge öffnen sich die Tight Junctions, die Schleusen der Schleimhaut. Sie verschließen den Spalt zwischen den Zellen und bilden so eine interzelluläre Diffusionsbarriere. Eine wiederholte und verstärkte Zonulin-vermittelte Öffnung führt zu einem Leaky-Gut-Syndrom, einer intestinalen Barrierestörung.

Erhöhtes α1-Antitrypsin im Stuhl weist eine schwere Barrierestörung der Darmschleimhaut nach. (8) Es ist im Gegensatz zu Zonulin nicht spezifisch für die Regulation der Tight Junctions, sondern weist unspezifisch eine defekte Grenzschicht nach. (3)

Zonulin und α1-Antitrypsin sind geeignete Marker, um die Durchlässigkeit der Darmschleimhaut bei Reizdarm-Patientinnen und -Patienten zu messen und effektiv zu therapieren.

Therapien, die auf das Mikromilieu abzielen

Sind die genauen Veränderungen im intestinalen Mikromilieu der Reizdarm-Patientin oder des -Patienten bekannt, lässt sich therapeutisch gegensteuern. Um ein gesundes Gleichgewicht wiederherzustellen, ist es meist notwendig, an mehreren Stellschrauben zu drehen. Dafür steht eine ganze Palette an natürlichen Behandlungsmethoden bereit, wie zum Beispiel die:

  • Mikrobiologische Therapie
  • Ernährungsumstellung, z. B. FODMAP-arm, temporäre Karenz oder Reduktion
  • Phytotherapie
  • Orthomolekulare Therapie

Reizdarmsyndrom: Eine Störung der Kommunikation über die Darm-Hirn-Achse

Die Darm-Mikrobiota beeinflusst eine Reihe von enteralen Substanzen wie Hormone und Neurotransmitter. Diese modulieren die Darm-Hirn-Interaktion und die Darmschleimhaut und tragen somit zu Reizdarm-Beschwerden bei. Mit unserer Gut-Brain-Axis Reizdarm-Diagnostik weisen wir die vier wichtigsten Parameter nach, die nachweislich das Reizdarm-Geschehen über die Darm-Hirn-Achse beeinflussen: Histamin, GABA, Tryptophan und Serotonin.

Lesen Sie hier mehr zur Gut-Brain-Axis Reizdarm-Diagnostik.

Mit Hilfe unseres Leitfadens finden Sie Stufe für Stufe die relevante Diagnostik für Ihre Patientinnen und Patienten.

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Literatur

  1. BARMER-Arztreport 2019 - Reizdarmsyndrom. Vorstellung am 28.02.2019. https://www.barmer.de/presse/infothek/studien-und-reports/arztreporte/pm-arztreport-2019-192568 abgerufen am 16.11.2020.
  2. S3-LL-RDS: Layer P, Andresen V et al. Update S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom: Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie des Reizdarmsyndroms der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM). Juni 2021 – AWMF-Registriernummer: 021/016.
  3. Distrutti E et al. Gut microbiota role in irritable bowel syndrome: New therapeutic strategies. World J Gastroenterol. 2016; 22(7): 2219–2241.
  4. Malinen E et al.: Analysis of the fecal microbiota of irritable bowel syndrome patients and healthy controls with real-time PCR. Am J Gastroenterol. 2005 Feb;100(2):373-82.
  5. Pittayanon R et al. Gut Microbiota in Patients With Irritable Bowel Syndrome-A Systematic Review. Gastroenterology 2019; 157(1): 97-108.
  6. Chumpitazi, B. P. et al.: Randomised Clinical Trial: Gut Microbiome Biomarkers are Associated with Clinical Response to a Low FODMAP Diet in Children with Irritable Bowel Syndrome. 2015, Aliment. Pharmacol. Ther. 42(4): 418–427. doi: 10.1111/apt.13286
  7. Fasano A. Intestinal Permeability and its Regulation by Zonulin: Diagnostic and Therapeutic Implications. Clin. Gastroenterol. Hepatol. 2012;10:1096.
  8. Siddiqui I. et al. Update on clininal and research application of fecal biomarkers for gastrointestinal diseases. World J Gastrointest Pharmacol Ther 2017; 6:39.