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Weizensensitivität

Weizensensitivität nachweisen

Immer mehr Menschen verzichten bei ihrer Ernährung auf glutenhaltige Nahrungsmittel. Zum einen ist es eine Modeerscheinung, zum anderen reagieren aber tatsächlich immer mehr Menschen empfindlich auf Weizen. Die Nicht-Zöliakie-Nicht-Weizenallergie-Weizensensitivität bezeichnet ein Syndrom, bei dem weizenhaltige Lebensmittel intestinale und extraintestinale Symptome hervorrufen - obwohl weder eine Zöliakie noch eine Weizenallergie bestehen (1).

Weizen ist in Deutschland ein Grundnahrungsmittel, das vor allem als Vollkornprodukt viele Vitamine, Mineral- und Ballaststoffe liefert. Doch das Weizenkorn enthält auch Funktionsproteine wie die Lektine und die Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATIs), die Verdauungsbeschwerden, Kopfschmerzen und Müdigkeit verursachen können. Die Funktionsproteine sind für die Reifung des Weizenkorns wichtig und schützen es vor Insektenfraß und Parasiten.

Lektine binden an Mukosa und Immunzellen

Vergleichsweise bekannt ist die Unverträglichkeit des Lektins in der Gartenbohne: Das hitzeempfindliche Phasein ist der Grund, warum rohe Bohnen giftig und gekochte gut verträglich sind. Anders ist das beim Lektin im Weizen: Das Weizenkeimagglutinin (WGA) ist wegen seiner Disulfidbindungen sehr stabil2. Das Protein widersteht Säure und Hitze und auch unsere Verdauungsenzyme greifen es nicht an.

Das Weizenkeimagglutinin bindet an Zuckermoleküle im Chitinpanzer von Insekten und in der Zellwand von Bakterien und Pilzen, um die Fraßfeinde abzuwehren. Allerdings kommen die Zuckermoleküle auch an der Oberfläche verschiedener Körperzellen vor, darunter unsere Darmepithel- und Immunzellen2. Im Dünndarm kann das Weizenkeimagglutinin deshalb an Mukosa und Immunzellen binden und so Entzündungen und ein Leaky-Gut-Syndrom hervorrufen (2,3).

Da die Lektine direkt unter der Schale des Weizenkorns sitzen, enthält eine vollkornreiche Ernährung besonders viele Lektine. Bei einer Weizensensitivität sind Weißmehlprodukte deshalb oft besser verträglich als Vollkornprodukte.

Symptome und Diagnostik

Während bei Kindern Bauchschmerzen und Diarrhoen dominieren, können bei Erwachsenen auch darmferne Symptome wie Müdigkeit, Ekzeme, Kopf- und Gelenkschmerzen auftreten(3).

Eine Diagnostik auf Weizenkeim-Agglutinin(WGA)-IgG-Antikörper kann die Anamnese unterstützen, da sich die Symptome einer Weizensensitivität mit den Symptomen anderer Beschwerdebilder wie der FODMAP-Unverträglichkeit, dem Reizdarmsyndrom und der Zöliakie überschneiden.

Ältere Getreide-Sorten verträglicher

Im Gegensatz zu Patienten mit Zöliakie oder echter IgE-vermittelter Weizenallergie vertragen Patienten mit einer Weizensensitivität kleine Mengen an Getreideprodukten.

Verträglicher sind meist die einfacheren oder älteren Weizensorten wie Dinkel, Emmer und Einkorn. Im Gegensatz zu ihnen enthält der moderne Weizen viele verschiedene Proteinklassen, wie die große Zahl seiner Gene verdeutlicht: Weizen besitzt etwa 100.000 Gene – fünfmal so viele wie der Mensch selbst3. Unsere Verdauungsenzyme können viele der Weizenproteine nicht oder nur unvollständig verdauen. Die unverdauten Weizenproteine können dann Beschwerden verursachen.

Besonders verträglich ist Sauerteigbrot mit langer Teigführung, nach traditionellen Rezepten mit gekeimtem Getreide zubereitet. Hierbei verringern die Proteasen der Keimlinge und der Stoffwechsel der Laktobazillen und Hefen deutlich die reaktiven Proteine.

In-vitro-Untersuchungen zeigten(4): Fiel der pH-Wert bei der Sauerteig-Fermentation unter 4,0, bauten die Proteasen verstärkt ATI-Tetramere ab. Bei der Hefe-Fermentation blieben die ATI-Tetramere dagegen intakt. Ebenso verminderte sich bei der Sauerteig-Fermentation der Gehalt an FODMAPs und WGAs5, gleichzeitig wurden weniger pro-inflammatorische Zytokine freigesetzt.

Hintergrundinfo ATIs

ATIs bilden meist stabile Di- und Tetramere, deshalb sind auch sie weitgehend resistent gegen gastrointestinale Proteasen und Hitze(4).
Ihre entzündliche Aktivität betrifft ebenfalls nicht nur den Darm, sondern auch periphere Organe. ATIs aktivieren dendritische Zellen, Makrophagen und Monozyten über den Toll-like-Rezeptor 4 (TLR4)(6). Dabei besitzen ATIs aus glutenhaltigen Getreidekörnern wie Weizen, Roggen und Gerste eine starke entzündliche Aktivität, während ATIs aus Hafer, Mais, Reis und Hülsenfrüchten nicht oder kaum entzündlich wirken(6).

Durch ATIs aktivierte Immunzellen können wahrscheinlich vorhandene chronische Erkrankungen wie chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Multiple Sklerose oder rheumatoide Arthritis verstärken und die Empfindlichkeit gegenüber Gluten bei genetisch prädisponierten Personen steigern(7). Auch am Bäckerasthma sind ATIs beteiligt.

Der Nachweis ist nur über einen Provokationstest möglich, der oft in Form eines verblindeten Kapseltests während einer glutenfreien Diät durchgeführt wird: mit ATI-haltigen Glutenkapseln gegen Kapseln ohne Gluten und ATIs. In Versuchen mit Mäusen verringerte die Gabe von ATI-abbauenden Laktobazillen die durch ATIs ausgelösten Entzündungen(7).

Diagnostische Parameter

Was kreuze ich an?

Den Nachweis können Sie auf Seite 3 der Auftragsformulare für privatversicherte Patienten und für selbstzahlende, gesetzlich versicherte Patienten anfordern unter der Ziffer:

  • f15 Weizenkeim-Agglutinin-IgG

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Literatur
1) Catassi C et al. The Overlapping Area of Non-Celiac Gluten Sensitivity (NCGS) and Wheat-Sensitive Irritable Bowel Syndrome (IBS): An Update. Nutrients. 2017; 9(11): 1268. doi: 10.3390/nu9111268
2) Mumolo MG et al. Is gluten the only culprit for non-celiac gluten/wheat sensitivity? Nutrients 2020; 12(12): 3785. doi: 10.3390/nu12123785
3) Ruemmele, F.M.: Non-Celiac Gluten Sensitivity: A Challenging Diagnosis in Children with Abdominal Pain. Ann Nutr Metab. 2018; 73 (4): 39-46. doi: 10.1159/000493929
4) Huang X, Schuppan D et al. Sourdough fermentation degrades wheat alpha-amylase/Trypsin inhibitor (ATI) and reduces pro-inflammatory activity. Foods. 2020; 9(7): 943. doi: 10.3390/foods9070943
5) Tovar LER & MG Gänzle. Degradation of Wheat Germ Agglutinin during Sourdough Fermentation. Foods. 2021; 10(2): 340. doi: 10.3390/foods10020340
6) Zevallos Vf et al. & Schuppan D. Nutritional Wheat Amylase-Trypsin Inhibitors Promote Intestinal Inflammation via Activation of Myeloid Cells. Gastroenterology. 2017; 152(5): 1100-1113.e12. doi: 10.1053/j.gastro.2016.12.006.
7) Caminero A et al. Lactobacilli degrade Wheat Amylase Tryprin Inhibitors to reduce Intestinal Dysfunction induced by Immunogenic Wheat Proteins. Gastroenterology. 2019; 156(8): 2266-2280. doi: 10.1053/j.gastro.2019.02.028